An(ge)dacht

Was ist "normal"?

Liebe Gemeindemitglieder und Gäste!

 

Ich schreibe Ihnen aus dem Priesterseminar in Münster, wo ich diese Woche zur Fortbildung bin. Vier Jahre habe ich hier als Student gelebt, fast jedes Jahr mache ich hier eine Studienwoche. Mit diesem Haus verbinde ich beste Erinnerungen!

 

Zu meiner Studienzeit kochten hier noch Ordensfrauen, und man aß, was auf den Tisch kam - meist deftig und lecker. Inzwischen sind einige Jahrzehnte ins Land gegangen, Ökotrophologinnen haben sich der Küche angenommen, und für Vegetarier besteht schon seit vielen Jahren die Möglichkeit, sich für ein fleischloses Gericht in die Essenslisten einzutragen. Als ich nun Anfang der Woche hier ins Haus komme, heißt es, es gäbe grundsätzlich vegetarische Gerichte; wer Fleisch essen wolle, müsse sich jetzt mit einem ‚F‘ in die Essenslisten eintragen.

 

Meine erste Reaktion: Ich rege mich tierisch (interessantes Wort in diesem Zusammenhang!) auf, weil ich meine, bevormundet zu werden. Keiner hat mir vorzuschreiben, was ich zu essen oder nicht zu essen habe!

 

Dann nachgedacht: Ich werde nicht wirklich bevormundet, denn ich kann ja frei wählen! Was mich wirklich ärgert, ich es mir aber nicht recht eingestehen möchte: Die vegetarisch Essenden sind zumindest hier unter den Studierenden inzwischen die „Normalen“ und ich, der ich auch mal ein Stück Fleisch essen möchte, ich bin die Ausnahme. Plötzlich bin ich die Ausnahme, gehöre hier zur Minderheit. Das schmerzt!

 

Ich nehme das zum Anlass, über meinen Fleischkonsum nachzudenken. Viel mehr aber bewegt mich die Frage, was in unserer Gesellschaft als „normal“ und selbstverständlich gilt und was „anders“ ist. Und ich stelle fest, dass sich in allen Bereichen des Lebens das Normalsein und damit auch das Anderssein immer wieder wandelt. Solange beides gut miteinander auskommt, kann ich auch (mal) zur Minderheit gehören …

 

Mit herzlichen Grüßen aus der Domstadt,

Propst Michael Langenfeld

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