An(ge)dacht

Jetzt kommen sie wieder – die großen Heiligen

Jetzt kommen die dunklen Tage und Wochen und Monate, die uns oft trübsinnig machen und traurig und hoffnungslos wegen so viel Dunkelheit um uns und in uns.

Und gleichzeitig kommen auch sie wieder – die großen Heiligen: der heilige Martin, die heilige Elisabeth, der heilige Nikolaus – die großen Freunde und Erzieher und Helfer in unserer Dunkelheit.

Martin ist der erste, der uns auf dem Kalenderblatt begegnet. Er ist mir vertraut seit Kindesbeinen an. Kindergärten und ganze Schulen nahmen am großen Martinsumzug teil.

Ich sehe mich mit meiner Laterne – liebevoll in Unterrichtsstunden hergestellt und mit Preis versehen – laufen und höre mich singen: „Ich geh` mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir …“

Schluss- und Höhepunkt dann auf dem Marktplatz: St. Martin hoch zu Pferd und vor ihm der Bettler, mit dem er seinen Mantel teilt. Dieses Jahr um Jahr wiederholte Ereignis hat sich tief in mir eingeprägt.

Ich habe gelernt: Du – Günther - Laternenträger bist Lichtbringer, wenn du wie Martin teilst.

Später habe ich über die ganze Sache nachgedacht, darüber gelacht und mich köstlich amüsiert. Nicht nur, weil es grotesk aussieht, wenn einer nur einen halben Mantel hat, sondern weil es auch grotesk ist, einen Mantel zu halbieren. Dann hat doch keiner mehr einen Mantel. Das ist doch verrückt. Zugegeben: Das ist sauber analysiert.

Und gleichzeitig spüre ich: Wir überlegen und überlegen – und tun die Liebe nicht. Es gibt Situationen, in denen nur törichte Liebe etwas ausrichten kann. Für den Bettler kann sie unter Umständen das Überleben bedeutet haben.

Meine Bitte an die Leserin, den Leser: Lassen sie den heiligen Martin nicht ohne Wirkung an sich vorüberziehen, nicht bloß durch den Kalender abziehen.

 

Günther Falkenberg

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